Wellen, Wind & Wasserschaft

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Wenn Martin Wölk eine neue Wirtschaftssimulation für Seefahrer zu Wasser läßt, dann beißen nicht nur die Fische an - schließlich durchpflügen mit "Der Patrizier" und "Christop Kolumbus" bereits zwei maritime Berühmtheiten aus seiner Programmierwerft das Amiga-Meer!

Unter den Flagge von Software 2000 hat Martin nun aber keinen weiteren Ausflug in die Historie der Schifffahrt unternommen, sondern eine hochmoderne Handelsflotte ausgerüstet: Bis zur vier Reeder aus Fleisch und Blut (auf Wunsch geht auch gern die "Freundin" an Bord) dürfen hier in einer Mischung aus Echtzeit und Rundenform 32 verschiedene Waren um die Welt schippern – und damit satte Gewinne einfahren.

Über ausgefeilte Menüs kann der Wirtschaftskrieg zuvor für jeden (menschlichen oder elektronische) Teilnehmer perfekt maßgeschneidert werden. So läßt sich nicht nur die Höhe der Gewinne und Kosten festlegen, auch die Spieldauer darf man frei bestimmen, genau wie den Schwierigkeitsgrad für jeden einzelnen Skipper.

Sieger ist am Ende, wer den höchsten Jahresumsatz erwirtschaftet hat, über die meiste Knete verfügt oder das tollste Firmenimage besitzt; ganz nach Belieben.

Beliebig anwählbar ist auch der Heimathafen (es stehen vier Ankerplätze von Hamburg bis Sydney bereit), der dann gleichzeitig als maus-gesteuertes Hauptmenü fungiert. Hier wird noch runden-weise agiert, während die Handelsregatta auf hoher See grundsätzlich in Echtzeit abläuft – bis sie per Funktelefon unterbrochen wird, um z.B. aktuelle Routenänderungen durchzugeben.

Doch vorläufig sitzen wir ja noch auf dem Trockenen, zusammen mit ein paar Milliönchen Grundkapital und den ein oder zwei Kähnen, die im Hafenbecken bereits auf ihren Einsatz warten. Ein Klick auf das entsprechende Icon transportiert uns zum hiesigen Warenmarkt, wo wir auch gleich nach lukrativen Termin- und Frachtaufträgen Ausschau halten.

Ist nichts dergleichen in Sicht, können wir entweder ein paar Tage abwarten oder uns kurzentschlossen mit einer der angebotenen Waren von A wie Autos bis Z wie Zucker eindecken. Die Preise reagieren dabei heftig auf Angebot und Nachfrage, aber wofür gibt‘s auch einen einblendbaren Taschenrechner?

Vor dem endgültigen Kauf sollte man jedoch ein paar Gedanken an die Ladekapazität seiner Schaluppen verschwenden, außerdem eignet sich nicht jede Fracht für jeden der neun möglichen Schiffstypen (Passagierdampfer, Tanker Kühlschiff etc.).

Wer im Konsumrausch dann doch zuviel Getreide oder Öl geordert hat, kann den Krempel einstweilen aber auch zwischenlagern; vorausgesetzt, er hat sich rechtzeitig um die passenden Räumlichkeiten gekümmert.

In den Häfen darf man natürlich auch seine Flotte vergrößeren bzw. verkleinern, sofern dabei die Obergrenze von 25 Seelenverkäufern nicht überschritten wird. Dazu besucht man entweder den örtlichen Schiffsmakler oder entwirft in der Werft selbst:andig einen Kahn nach den Vorgaben Typ, Geschwindigkeit, Tragfähigkeit und Passagierkapazität. Aber was das wieder kostet!

Da hilft nur der Gang zur Hausbank, es sei denn, man selbst oder der angeheuerte Anlageberater hat ein Händchen für Börsengeschäfte. Wer hier den Trend der 22 gehandelten Aktien richtig vorhergesehen hat, kann die überschüssige Penunze dann seinerseits der Bank zu entsprechenden Zinsen anbieten.

Last not least ist eine Versicherung gegen die Eventualitäten des Lebens gerade in dieser bewegten Branche nie verkehrt – besonders, weil ein katastrophenverliebter Zufallsgenerator als blinder Passagier mitfährt. Doch egal, ob Schiff, Warenvorrat oder Lagerraum bzw. Feuersbrünste, Streiks und Stürme, für alles gibt es die geeignete Police.

Damit wir nun endlich zu(m) Potte kommen, sind auf einer bildschirmfüllenden Weltkarte alle 100 über den gesamten Globus verstreuten Häfen der Reeder-Welt verzeichnet. Klickt man einen davon an, erscheint ein kleines Icon-Menü, das genaue Auskunft über die lokalen Hauptein- und Ausfuhrgüter gibt. Ein weiterer Mausklick auf den ausgesuchten Zielort schickt die einzelnen Frachter it frei wählbarer Geschwindigkeit auf die große Echtzeit-Fahrt. Wie eingangs erwähnt, läßt sich diese aber jederzeit unterbrechen, damit man mit den Hilfsmitteln moderner Telekommunikation den Aktienmarkt, die Bank, das Versicherungsbüro, die Werft oder den Schiffsmakler kontaktieren kann.

Trifft eins unserer Bötchen irgendwo in einem Hafen ein, wird (wie immer zu variablen Preisen) frischen Sprit für die Maschine gebunkert und nach Möglichkeit auch ein Wartungsdock ausgesucht. Merke: Je schneller und schwerer beladen so ein Kahn unterwegs war, desto kostenintensiver sind die zu erwartenden Schäden an Rumpf und Antrieb.

Solche Reparaturen setzen das jeweilige Transportmittel natürlich einige Tage lang außer Gefecht; in dieser Zeit kann man sich z.B. wieder mal verstärkt um einen der begehrten, weil sehr lukrativen Termin-aufträge bemühen. Eine echte Chance haben dabei jedoch nur Firmen mit gutem Image, das man sich wiederum vor allem durch pünktliche Lieferung und prestigeträchtige Objekte erwirbt – wer etwa die chronisch defizitäre, aber eben hochberühmte "Queen Elizabeth" sein eigen nennt, poliert den Ruf seines Unternehmens damit gewaltig auf.

Was nun die technischen Äußerlichkeiten angeht, herrscht beim Reeder eher hanseatisch kühle Bescheidenheit vor: Optisch wird bis auf ein rundes Dutzend (zugegebenermaßen recht hübsche) Menübildchen und viele adrette Bild-Icons wenig geboten. Zu Animationen schwingt sich nur die Weltkarte auf, wo ein paar umherirrende Pixel die fahrenden Schiffe symbolisieren. Akustisch geht‘s schon wilder zu, denn hier verleihen zahlreiche Musikstücke und Sound-FX den einzelnen Häfen das passende Lokalkolorit.

Aber auch das macht den Reeder noch nicht zu einer der besten Wirschaftssimulationen, die man derzeit für Geld kaufen kann; dafür ist vornehmlich die perfekte Mischung aus Realitätsnähe, Komplexität und Spielkomfort verantwortlich: Die übersichtlichen Menüs lassen sich tadellos bedienen, die individuellen Einstellmöglichkeiten erlauben das hamonische Zusammenspiel von Seebären verschiedener Erfahrungs-stufen, und dazu gibt es noch ein informatives, bunt bebildertes Handbuch.

All das gilt gleichermaßen für die AGA- und die ECS-Version. Normalamiganer müssen lediglich etwas bläßlichere Grafiken in Kauf nehmen; außerdem sollten sie unbedingt über eine Festplatte (und 1,5 MB RAM) verfügen, sonst geht der Spielspaß in einer wahren Springflut aus Diskwechseln unter. Und gerade bei diesem frisch aus PC-Gewässern verschifften Meilenstein wäre das ein echter Jammer! (md)


HANDEL IM WANDEL

Die Kombination aus Globetrotter-Atmosphäre und kaufmännischem Kakül hat die Programmierer schon früh fasziniert: Bereits 1987, also in der Steinzeit des Computer-Entertainments, ließ Ralf Glaus noch bei Ariola Soft veröffentlichter Klassiker "Hanse" die Begeisterungswellen hochschlagen. In dessen Kielwasser schwamm das recht ähnliche "Die Fugger" von Electric Ballhaus.
Schon ziemlich modernes Flottenmanagement präsentierte dann (Glaus Zweitwerk "Yuppies Revenge" lassen wir hier mal außen vor) das deutsche "Ports of Call" von Aegis, das 1988 in den Amiga-Hafen einlief und sogar einige Action-Elemente enthielt.
1991 herrschte dagegen Flaute: Mit dem üblen Impressions-Machwerk "Merchant Colony" und dem Megaflop "Cash" von Max Design erschreckten bloß zwei morsche Seelenverkäufer die Fans.
Anno 1992 lief das Genre dafür zu Höchstform auf, denn mit "1869" und "Der Patrizier" verließen zwei praktisch ebenbürtige Edel-Seesims die Softwarewerften von Max Design bzw. Ascon.
Im darauffolgenden Jahr gingen "Delivery Agent" von Oase und "Subtrade" aus dem Hause Boeder auf große Fahrt – den beiden fehlte es zumindest nicht an Originalität.
1994 erlebte wieder zwei Highlights: "Christop Kolumbus" von Software 2000 und Ascons runderneuerten Hanseaten-Oldie "Hanse – Die Expedition". Daneben fielen die lauwarme "Big Sea" von Starbyte und das oft verschobene und ziemlich verschrobene "St. Thomas" von Softgold eigentlich kaum auf.
Heuer gab es bisher mit "High Seas Trader" von Impressions wenigsten einen halbwegs fähigen Seekadetten auf dem Amiga-Dampfer, während Kaikos passabler Reisemanager "Flamingo Tours" ja nur bedingt zum Thema gehört.